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Kultur und Wissen
Über Erasmus Schöfers Roman "Zwielicht"
Die Liebe und der Widerstand
Von Ariane Dettloff

"Zwielicht" - ein Buch zum Erleben. Ein Buch zum Bedenken. Ein Buch zum Erinnern. Ein Buch zum Amüsieren. Auch ein Buch zum Nach-Fragen: Erasmus Schöfer ist es gelungen, mit dem zweiten Band seines Zeitromans "Die Kinder des Sysifos" wieder gelungen, Lesevergnügen und Historie eindrucksvoll zu verbinden. "Zwielicht" schildert den vielfältigen außerparlamentarischen Widerstand der Siebziger Jahre mit seinen Höhepunkten wie mit seinen Widersprüchen. (Der erste Band, "Ein Frühling irrer Hoffnung", behandelt den Aufbruch 1968: die Proteste gegen den Vietnamkrieg und die Meinungsmache der Springer-Presse.)

Erleben

kann die LeserIn eine wundervolle wie tragische Liebesgeschichte mitten im Widerstand gegen das geplante Atomkraftwerk Wyhl damals am Kaiserstuhl. Sehr wirklichkeitsgesättigt, mit eingestreuten Originaldokumenten, mit Auftritten realer Personen wie Walter Mossmann, Balthasar Ehret genannt Belz, Wolfgang Sternstein, Lothar Späth u.a., mit dramatischen Szenen, mit Gedichten. Die Formenvielfalt ist Programm. Schöfer will entgrenzen - Genreregeln ebenso wie Ideologien, Genderkorsetts wie Dudendogmen, Soziokäfige wie Politraster.

Der Kölner Autor Erasmus Schöfer
Der Kölner Autor Erasmus Schöfer
Foto: Timo Ben Schöfer


Armin Kolenda, die Zentralfigur des Romans, Ex-Sozialarbeiter und Journalist, ist "handelnder Zuschauer" bei der Betriebsübernahme der Glashütte Süßmuth durch die Belegschaft 1971 in Hessen, der AKW-Nee-Bewegung der Kaiserstühler 1975, dem Kampf der Düsseldorfer Mannesmann-Arbeiter gegen die Werksschließung 1977. Zugleich ist er aktiv im "Werkkreis Literatur der Arbeitswelt" und reflektiert dessen Entwicklung. Das ist oft spannend und witzig erzählt, etwa wenn Schöfer die "Verwendung friedlicher Jauche zur Platzverteidigung gegen Polizeiangriffe" erwähnt oder die Staatsmachthüter als "Huftiere" bezeichnet.

Die durchstreiften Gegenden erstehen vor dem inneren Auge der LeserIn sehr unmittelbar, weil Schöfer es versteht, unverbrauchte, originelle Metaforik zu verwenden (ich schließe mich hier seiner undudischen Schreibart an, die den Wörtern in solch ungewohntem outfit neue Gesichter verpasst: "Kompjuter", "Tieschört", "Empie", "Intervju", "so pöapö"...) Im Schwarzwald sind die Straßengräben "noch sattgrün bepelzt" ; "eine Flattermaus wischt taumelig um die Straßenlaterne"; zur Unterstützung der "Waldschlächter der Hochtief" zücken die Schutzbullen ihre "Haugummis"; im Düsseldorfer Malocher-Viertel Reisholz riecht man das "Parfüm der Trübseligkeit".

Be-denken

kann frau die Erkenntnis des alten Pförtners und Werkkreis-Literaten Jupp Ippers: "Nichts ist makellos richtig. Aber etwas ist meistens richtiger". Richtig, aber was?? Meint Schöfer damit, "dass "sowas nicht hinhaut: befreite Inseln im Kapitalismus"? Ist es demnach richtiger, den Ausstieg gar nicht erst anzugehen? - Ein Gutteil besser als das Leben in alten verseuchten Fahrwässern kann das Experimentieren in Halbutopia doch gelingen, wie etwa in politischen Kommunen!? Vielleicht führt Schöfer uns in den Folgebänden der geplanten Tetralogie so eine Aufbruch-Insel mal vor Augen, zeigt neben Abwehrkämpfen Keimformen einer alternativen Gesellschaft?

Bedenklich kann man die reichlich reizvoll geschilderten Autofahrten finden - trotz des realistisch beschriebenen Straßenmords an einer schwarzen Katze und der Feststellung: "Wir sitzen alle flott in den eisernen Menschenfressern und treten aufs Gaspedal".

Erinnern

Wer dabei gewesen ist bei dem einen oder anderen geschilderten Ereignis der Zeitgeschichte, wird sicher mit Gewinn eigene Einschätzungen abhorchen auf Übereinstimmungen und Differenzen mit denen Schöfers und seiner Figuren. "Die Glotze vor jedem Arbeiterkopp die is sowieso die dickste Kanone im Arsenal der Geldsäcke, dagegen is der Radikalenerlass n Karnevalsböller." Aus Anlaß des Schleyer-Mords durch die RAF und der Überreaktion des Staatsapparats: "Revolution im Niemandsland. Im Grunde wie Jesus. Der hat auch mit zwölf Genossen angefangen vom Kommunismus zu reden. Hat aber keine Römer umgebracht. Hohepriester auch nicht." Beim Gewerkschaftstag der IG-Metall: "Sie (gemeint sind die Metaller) mosern ein bißchen rum, aber sind froh, dass sie ein paar Elefanten haben, die den Pfad trampeln im Dschungel." Im Zusammenhang mit der Herausgabe der systemkritischen Werkkreis-Bücher durch den Fischer-Verlag: "Das Kapital finanziert (und stärkt damit doch?) seine Gegner. Oder fesselt und entwaffnet es uns mit dieser Taktik?"

Jüngere LeserInnen oder solche, die die Siebziger nicht alternativ-politisch mitgestaltet haben, können Schöfers Werk als eine ergiebige Quelle nutzen: Es liefert lebendige Anschauung ebenso wie Standpunkte des beteiligten Autors: kritisch gegenüber SPD, DKP, K-Gruppen und RAF, sympathisierend mit Selbstorganisation und Anarchie. Und lesend  erinnert man sich: Nicht erst im globalisierten Neoliberalismus werden rentable Betriebe "einfach ausgeschaltet wie ne Glühbirne".

Rheinische LeserInnen treffen auf bekannte Personen wie den Kabarettisten Heinrich Pachl, die Schauspielerin Christiane Bruhn und  und den "sensiblen Herrn Arbeitsplatzkiller" Overbeck (Vorstandsvorsitzender  des Konzerns) und Schauplätze (Düsseldorf-Reisholz, Köln-Rodenkirchen und -Bayenthal, Neuss). Das ist durchaus unheimatlich gemeint. Die Hauptfigur im "Zwielicht" Armin Kolenda fühlt sich nicht von ungefähr zuhause bei den Suchern und Bewegern: "Bei denen ist meine Heimat. Eine andere brauch ich nicht."

Amüsieren

kann man sich ausgiebig: etwa wenn mensch liest, wie Schöfers Protagonist Armin und seine Kollegin ihre Pensionswirtin wahrnehmen: "Sie schüttelte mißbilligend die Wickler", und am nächsten Morgen: "Trägt sie noch ihren Kopfschmuck von heut nacht?" - "Die Folgen davon."

Witzig auch, wie Erasmus sich selbst einbaut: "Kennst du den Schöfer?" fragt Armin Kolenda seine Kollegin, woraufhin der Autor ein WDR-Interview erfindet, aus dem man allerlei über den Romanschreiber erfährt, u.a. auch, dass er sich (1977, zum Zeitpunkt des fiktiven Interviews) in der literarischen Meisterdisziplin erst noch beweisen müsse, ehe er mit sich zufrieden sein könne.

Nach-Fragen

Welches "Zwielicht" thematisiert der so betitelte Roman? Vor Sonnenaufgang oder nach Sonnenuntergang? Was dämmert da? Befreiung oder Verfinsterung? Beides verschränkt wohl eher. Denn: "Die Menschen sind noch nicht die Besten." Nähere Auskunft in den Folgebänden?? Besser: in LeserInnenköpfen. Im Sinne der eingreifenden Literatur, wie Autor Schöfer sie versteht: "als Zuarbeiter der notwendigen Befreiung vom Kapitalismus, weil er eben nicht nur unsere Körper, sondern auch unsere Köpfe zerstört."

"Literatur als Auslöser von veränderndem Handeln" will Schöfer schaffen.. "Zwielicht" ist dazu ein starker Beitrag.

Buchbesprechung aus CONTRASTE im Jahr 2004 (www.contraste.org)
Erasmus Schöfers "Die Kinder des Sisyfos", Bd.1 "Ein Frühling irrer Hoffnung",  Bd.2 "Zwielicht" und Bd. 3 "Sonnenflucht", Dittrich Verlag Köln, ISBN 3-920862-58-9

Externe Links:
www.dittrich-verlag.de

Online-Flyer Nr. 20  vom 30.11.2005



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